Überall entlang spazieren
Die Form historischer Bauerngärten basiert oftmals auf geometrischen Grundformen. Das kann so aussehen: Ein rechteckiger Garten hat zwei Eingänge, die in der Mitte gegenüberliegender Seiten des Rechtecks liegen. In der Gartenmitte gibt es ein rundes Beet mit einem Wasserbecken oder besonderen Pflanzen. Der Rest des Gartens wird durch gerade Linien in mehrere Beete eingeteilt. Jedes Beet ist einer anderen Gruppe von Pflanzen vorbehalten. Kleine Buchsbaumhecken markieren den Rand der Beete.


Zu dieser streng geometrischen Anordnung passen nur gepflegte Wege frei von unerwünschten Gewächsen. Daher geht die Gärtner*in täglich alle Wege ab und kontrolliert diese auf Unkraut. Ideal wäre es daher, eine Route zu finden, bei der alle Wege abgegangen werden, ohne einen doppelt laufen zu müssen.

Der schweizer Mathematiker Leonhard Euler (1707 – 1783) hat sich mit den idealen Wegen durch den Bauerngarten beschäftigt. Er hat dabei vermutlich nicht an Gärten gedacht, sondern das Ganze vor allem abstrakt als Netz von Kanten und Knoten betrachtet. Eine solches Netz nannte er Graph. Dabei interessierte ihn unter anderem die Frage, ob man ein solches Netz „in einem Zug“, also ohne abzusetzen zeichnen kann. Das entspricht der Suche unserer Gärtner*in nach dem idealen Weg durch den Garten.
Euler stellte fest, dass es nicht immer möglich ist, einen solchen idealen Weg zu finden. Treffen sich an einer Wegkreuzung zwei Wege, so ist das kein Problem: Auf dem ersten Weg kommt man an, einen zweiten Weg geht man weiter. Das würden wir schon deshalb nicht als problematisch ansehen, weil das die meisten gar nicht als Kreuzung betrachten. Eine solche Stelle gibt es zum Beispiel an den Ecken unseres Gartens. Auch beim Zusammentreffen von vier Wegen geht es auf: Ankommen auf einem Weg, weitergehen auf einem zweiten Weg, erneut ankommen auf einem dritten und zum letzten Mal gehen auf dem vierten Weg. So funktioniert es bei allen Kreuzungen mit einer geraden Zahl von Wegen. Euler nannte diese „gerade Knoten“.
Bei ungeraden Knoten, also solchen mit einer ungeraden Anzahl von Wegen, wird es komplizierter. Treffen sich drei Wege, so kann man auf einem Weg dort ankommen und den zweiten Weg zum Weitergehen benutzen. Kommt man wieder dort an, gibt es keinen Weg mehr, den man nicht schon benutzt hatte. Hier ist also Ende. Daher kann man einen solchen ungeraden Knoten nur als Anfangspunkt oder Endpunkt beim Zeichnen ohne Abzusetzen verwenden. Da man genau einen Start- und einen Endpunkt benötigt, funktioniert es nur, wenn man genau zwei ungerade Knoten hat. Einen solchen Graphen mit genau festgelegtem Start- und Endpunkt nennt man Semi-Eulergraph. Einer der beiden abgebildeten Gärten ist ein solcher Graph. Start- und Endpunkt bilden die Eingänge rechts und links, also die Knoten mit nur einem Weg.

Wenn es gar keine ungeraden Knoten gibt, kann man an jeder beliebigen Stelle mit dem Zeichnen beginnen und Enden. Man kann in diesem immer einen Weg finden, den man ohne abzusetzen zeichnen kann. Diese besonderen Graphen sind Eulergraphen.
Die meisten Bauerngärten haben als Wegenetz vermutlich Strukturen, die „nicht eulersch“ sind, also für die man keine Möglichkeit findet, alle Wege abzugehen, ohne einen doppelt zu benutzen. Das ist der Fall wenn es mehr als zwei ungerade Knoten gibt. Dann kann man zumindest versuchen, möglichst wenig wenige und nur kurze Wege doppelt zu gehen. Diese Überlegung sollte zum Beispiel auch die Müllabfuhr bei der Planung ihrer Routen anstellen, um möglichst effektiv zu arbeiten.

Gehen Sie in einen nicht zu großen Park und versuchen Sie alle Wege abzugehen, ohne einen doppelt zu gehen. An welcher Stelle geht das nicht und warum? Vielleicht können Sie bewusst ein paar Wege (möglichst wenige!) weglassen, so dass die beim Spaziergang benutzten Wege einen Eulergraphen bilden. Sportliche Leser könnten versuchen bei jedem Mal joggen eine neue Variante zu finden, in welcher Reihenfolge die Wege begangen werden.

Beutelspacher, Wagner: Warum Kühe gern im Halbkreis grasen (Königsberger Brückenproblem)